Test
Micro Seiki SX 555 FVW (aus "stereoplay", 9/86)
Wertung: absolute Spitzenklasse, Referenz
Mit freundlicher Genehmigung der Motorpresse, Stuttgart
Nachtigal,
ick hör dir trapsen...
Test Plattenlaufwerke
Analogplattenspieler haben sehr viel mit den etablierten Parteien
gemeinsam. Hier wie dort lassen sich in den seltensten Fällen
Verantwortliche für begangene oder noch schwelende Untaten finden.
Treffen die Leidtragenden eine andere Wahl, ist in den wenigsten Fällen
alles in Butter, zu oft gerät man gar vom Regen in die Traufe.
Zumindest beim Plattenspieler kann eine falsche Entscheidung teuer
zu stehen kommen. Um so ärgerlicher, weil bei ihm das Problem
der Schuldzuweisung nicht unlösbar ist.
"Ohne gescheite Basis läuft eben nichts", wissen nicht
nur Kommunalpolitiker zu berichten, auch diverse Analog-Highender
haben diesen Spruch parat. stereoplay hatte bisher (Ausnahme 3/80),
nicht zuletzt des hohen Aufwands wegen, vom Test von nackten Laufwerken
abgesehen, stattdessen lieber schöne und gutklingende, komplett
ausgerüstete Edelspieler empfohlen.
Größere Schwierigkeiten ergaben sich zum erstenmal anläßlich
des Tests im Januarheft. Niemand wußte so recht, welcher der
drei zusammenspielenden Komponenten nun die meiste Schuld am weniger
berückenden Klang einer Kombination zuzuweisen ist.
Nachdem, Linn sei Dank, das Analogfeuer auch bei stereoplay wieder
aufgeflammt ist, waren die Plattenfans nicht mehr zu halten. Abschätziges
Kopfschütteln der Digitales half nichts. Laufwerke mußten
solo zum Test erscheinen.
Ganz nebenbei wollten die Tester natürlich auch dem Linn Sondek
LP 12 auf den Zahn fühlen, schließlich ist dieses Laufwerk
tragender Bestandteil der stereoplay-Piattenspielerreferenz. Nachdem
sich dort der Linn-Tonarm Ittok LV 11 so gut bewährt hatte, sollten
ihn auch
Wenn auch nur simple Laufwerke, so lösten sie doch eine Palastrevolution
aus: Thorens Fantasy und Micro SX 555 FVW.
die anderen Testeilnehmer verordnet kriegen. Als Tonabnehmer mußte
das ebenfalls in der Referenzkombination mitspielende, tadellos klingende
Linn Karma Dienst tun.
Wider Erwarten war es gar nicht so einfach, mutige Gegner zu finden.
Audiolabor wollte sein Laufwerk Konstant nicht dem Ittok LV II ausliefern,
da dieser irgendwelche Resonanzen des Konstant nicht auszubügeln
verstehe. Taurus hatte "nicht die nötige Fertigungskapazität,
um die nach dem Test möglicherweise einsetzende Nachfrage"
nach dem Morgentau befriedigen zu können; Räke, dessen wunderhübsche
Transrotor-Spieler bei einer anderen Zeitschrift schon mehrfach Referenztitel
einheimsen konnten, will plötzlich "nicht mehr viel in Sachen
Plattenspieler unternehmen und sich stattdessen Zubehörartikeln
zuwenden". Soso.
Die aufrechten Thorensler im badischen Lahr mit dem in Plexiglas getauchten
TD 321 Fantasy und die P.I.A.-Leute, die sich liebevoll der Micro-Spieler
angenommen haben, besonders des neuen SX 555 FVW, machten dagegen
keine Ausflüchte und akzeptierten gerne Linn Ittok LV II und
Linn Karma als Spielgefährten für ihre Zöglinge.
Damit standen dann auch die Vertreter ganz unterschiedlicher Philosophien
neben dem Oberguru Linn Sondek. Die Heilslehren des spleenigen Engländers
hat der brave, aber gut gestylte Badener zumindest teilweise schon
angenommen. Oder ist es eher umgekehrt? Plattenspieler mit Subchassis
und Riemenantrieb baut Thorens schließlich schon bedeutend länger
als die Emporkömmlinge aus Glasgow.
Deutliche klangliche Vorteile gegen über dem hölzernen Bruder
TD 321 (siehe stereoply 5/86) soll dem Fantasy sein Plexiglas-Outfit
bringen. Die hohe innere Dämpfung des Materials zeichnet angeblich
dafür verantwortlich. Und in der Tat, auch auf beherztes Anklopfen
reagiert der Thorens-Schönling nur mit einem kurzen, trockenen
"Tock". Weniger zurückhaltend gibt sich das etwas dünn
ausgefallene Tonarmmontagebrett. Der durchlöcherte Teller fand
ebenfalls nicht die ungeteilte Zustimmung der Tester. Vom Motor erzeugte
elektromagnetischen Störfeldern bleibt so ein kleiner Ausweg
offen, empfindliche Tonabnehmer könnten die wehrlose Beute sein.
Ganz andere Wege als die traditionsbewußten Thorens-Konstrukteure
beschritten ihre japanischen Kollegen bet Micro. Wohl um die Probleme
wissend, die ein gewichtiger Teller bei der Auslegung des Lagers mit
sich bringt, betteten sie die insgesamt 7,5 kg schwere Dreh scheibe
kurzerhand auf ein hauchdün-
0,3 mm trennen im Betrieb den Aluteller von der Glasplatte: Micro
SX 555 FVW. Die extrem leise Pumpe findet an der Rückseite Anschluß.
nes Luftpölsterchen. Eine Pumpe baut es zwischen einer geschliffenen
Glasplatte und der feingedrehten Unterseite des Aluminium-Haupttellers
auf. Der die Platte aufnehmende gummilippen-bewehrte Bronzedeckel
wird in die vom Riemen umschlungene Aluschüssel ein gesetzt,
fertig ist der Duplex Plattenteller.
Da der SX 555 FVW eh schon den unförmigen Pumpenklotz am Bein
hat, gaben ihm die Entwickler gleich noch eine Plattenansaugeinrichtung
mit auf de° Weg. Von einem Subchassis halten die Micro-Leute nichts.
Sie schwören auf eine massive Zarge mit aufwendig konstruierten
Dämpferbeinen.
Im Meßlabor standen zuerst die Frequenzgänge auf dem Programm.
Trotz völlig gleicher Bestückung waren jedoch kleine Unterschiede
zu verzeichnen.
Verliefen die Schriebe des Thorens und es erneut gemessenen Linn praktisch
identisch, sah der des Micro noch etwas besser aus. Die am Hörtest
nicht beteiligten Meßdiener gaben ihm deshalb auch die meisten
Chancen. Bei den anderen Standarduntersuchungen ergab ich nichts Spektakuläres;
die Papierform der Testkandidaten schien über alle Zweifel erhaben.
Erstaunliche Ergebnisse brachte dagegen die Messung der Mikrofonie-Empfindlichkeit
(siehe "Robin Hood").
Was die klanglichen Fähigkeiten anbelangt. waren die stereoplayer
zu scheinbar hörwidrigen Erkenntnissen gelangt. Trotz gleicher
Bedingungen für alle gab es über die von den BurmesterMonoblöcken
828 angetriebenen JBL 250 TI doch deutlich reproduzierbare Unterschiede
zu verzeichnen. An der chromschimmernden Vorverstärker-Referenz
Burmester 808 Mk III peinlich genau auf gleiche Lautstärke getrimmt,
traten zuerst Thorens und Linn gegeneinander an. Hier tat sich einiges.
In Sachen Präzision hinkte der Thorens dem LP 12 weit hinterher.
Die üppig instrumentierten Stücke des Musical-Spektakels
"Chess" konnte der Fantasy nicht in ihre Bestandteile zerlegen.
Einzelstimmen aus Chorpassagen herauszuhören war ebensowenig
drin wie die genaue Zusammensetzung des begleitenden London Symphony
Orchestra zu erahnen. Räumliche Breite und Tiefe, wovon die Aufnahmen
einiges zu bieten haben, schmolzen auf ein eher bescheidenes Maß
zusammen. Beim gefühlvollen "Mountain Duet" kamen sich
Florence und der Russe zu nahe, beim Linn wahrten sie die nötige
Distanz und wurden viel plastischer, fast greifbar abgebildet.
Da sich diese Tendenz bei allen Platten abzeichnete - bei völlig
gleicher Klangfarbe wohlgemerkt -, verpaßten die Tester kurzentschlossen
dem Thorens Arm und System des Linn, der dafür beides vom Fantasy
bekam. Trotzdem blieben die Verhältnisse wie gehabt. Die vorzüglich
aufgenommene alte Decca-Scheibe "Bolero" aus der Serie "The
World Of The Great Classics" (Teldec Import Ser-
War eigentlich nur als Messegag gedacht, um die Innereien des TD
321 zu zeigen, durfte sich dank besserer Meßwerte aber unter
dem Namen Fantasy selbstständig machen: Thorens im Plexiglas-Kostüm.
vice) entlarvte den Thorens wiederum als Weichling. Die überzeugend
vorgetragene Carmen-Fantasie von Bizet verlor mit ihm deutlich an
Ausdruck. Die ganzen Feinheiten des Geigenspiels und die aggressiven
Attacken des Orchesters brachte erst der Linn wieder mit aller gebotenen
Genauigkeit zu Gehör.
War der erste Hörduchgang recht schnell und unproblematisch verlaufen,
schickte sich der Micro an, Schwierigkeiten zu machen: Seine Ansaugeinrichtung
braucht enorm viel Zeit, bis sie die LP richtig plattgekriegt hat.
Handauflegen kann die Prozedur beschleunigen und ist bei stark verwellten
Exemplaren gar unumgänglich. Hatte sich der SX 555 FVW die schwarzen
Schätzchen erstmal richtig einverleibt, wollte er sie trotz abgeschalteter
Ansaugeinrichtung nicht mehr ohne weiteres hergeben.
Seine klanglichen Fähigkeiten stimmten die Tester jedoch versöhnlich.
In Anbetracht des begabten Micro mußte sich auch der Linn warm
anziehen. "Der Herbst" aus Vivaldis "Vier Jahreszeiten"
(Highlights 14) machte die Entscheidung nicht leicht. Streicher schienen
beim Linn etwas exakter, wirkten dadurch aber auch giftiger als beim
helleren, aber weniger aufdringlichen Micro. Klärung brachte
das "Chess"-Doppelalbum. Einige der Tester hatten sich in
dieses Musical-Kleinod über längere Zeit auf verschiedenen
Anlagen eingehört. Im Hörraum zögerte die Mehrheit
nicht, dem Linn LP 12 den Zuschlag zu geben. Er brachte mehr Details
und Informationen. Das rührende Duett von Murray Head als "American"
und Elanie Page als "Florence" im Stück "Florence
Quits" war beim Micro wirklich gut, beim Linn ergreifend schön.
Hervorgerufen wurde dieser Eindruck mit durch die spektakuläre
Räumlichkeit, die der Schotte zu vermitteln verstand. Greifbar
nahe, plastisch und mit ungehemmter Vitalität sang Head seinen
Part. "Florence" lebte über den LP 12 ihre Rolle voll
aus, über den Micro wirkte sie etwas weniger leidend und nicht
ganz so authentisch. Auch mit anderen aus dem Effeff bekannten Platten
- die Hörtester hatten zuhauf Lieblingsscheiben mitgebracht -
bestätigte sich der gewonnene Eindruck. Hatte Annette Peacock
("The Perfect Release", Metronome-Vertrieb) beim Micro eine
interessante Stimme, klang sie über den Linn schon aufreizend
lasziv.
Wären nicht die penetrant forschenden Meßspezialisten gewesen,
hätte schon an dieser Stelle eine bequeme Empfehlung stehen können.
Unter den gegebenen Umständen (siehe "Robin Hood")
gestaltet sich die Sache jedoch komplizierter. Der Linn LP 12 konnte
zusammen mit den hauseigenen Weggefährten im Hörtest die
meisten Stimmen auf sich vereinigen. Die Labor-Jungs legten jedoch
ihr Veto ein. Sie befürchteten, daß die beängstigende
Mikrofonieempfindlichkeit des Laufwerks anderen Armen und Systemen
zum Nachteil gereichen könnte (ein geplanter Tonarmtest wird
dem nachgehen). Daher kann der Linn eigentlich nur mit Ittok LV II
und Karma empfohlen werden, dann aber wärmstens. Unbehelligt
von solchen Mikrofonieproblemen sind die Mitspieler auf dem Thorens
Fantasy. Er darf damit als solide, von bedenklichem Eigenleben freie
Basis für gute Tonarme gelten. Das gleiche gilt auch für
den Micro SX 555 FVW. Ohne sich irgendwelche meßtechnische Ferkeleien
nachsagen lassen zu müssen, bestach er auch im Hörtest.
Der Referenztitel ist der Lohn für solch vorbildliches Tun.
Text: Martin Doll
Linn-Mythos
entschleiert
Robin
Hood
Das Laufwerk hat die Platte anzutreiben und sonst gar nichts. Die
Schwierigkeit liegt im Nichts, denn der Tonabnehmer als Bindeglied
zwischen mechanischer Aufzeichnung und akustischer Wiedergabe reagiert
unnachsichtig auf allergeringste Vibrationen. Für die Erzeugung
der massivsten Störungen sorgt der Plattenspieler selber: Der
Schall kommt aus den Lautsprechern als Bumerang zurück und stiftet
Unruhe.
Weil niemand ganz von äußeren Einflüssen frei ist,
sorgte die Meßcrew für Ruhe im Labor und beschallte jeden
Spieler mit Rosa Rauschen. Als Meßwertaufnehmer durfte sich
der Tonabnehmer ohne die schützende Spielerhaube auf die unmodulierte
Rille der Rumpelmeßplatte absenken. Der wegen seines exzellenten
Klangs herausragende Linn Sondek (Test 1/86) reagierte geradezu sensibel
auf den Rauschangriff. Ab 500 Hertz wirkte die aufgesetzte Haube als
deutlicher Dämpfer.
Und schließlich wurden auch noch die Matten auf ihr Schwingungsverhalten
abgeklopft. Konnte sich beim Micro die nichtangesaugte Platte durch
Berauschung kräftig entfalten, nahm die Pumpe ihr Freiheiten
und band sie vibrationshemmender an den wuchtigen Teller. Von der
wohlklangverheißenden Micro-Lederunterlage zeigten sich die
Schwingungen unbeeindruckt. Das Thorens-Gummi dämpfte im stark
klangprägenden Hörbereich um über 10 dB wirksamer als
der sakrifizierte Linn-Filz.
Die herrschende Konfusion ist kaum vorstellbar: Hatten die Hörtester
versagt, als sie im Januar den Linn-Plattenspieler zur Referenz in
der Absoluten Spitzenklasse machten? Die Kette
von Hörvergleichen zur Klärung hätte fast zum Super-GAU
geführt, nämlich zum Platzen des Heft-Erscheinungstermins.
Gerade noch rechtzeitig kam den gefesselten Laborschüllern die
befreiende Idee: Könnte es sein, daß der ganze Linn-Kult
vom untergelegten Papierschnipsel bis zum Ikea-Tisch auf einem genau
dosierten Mikrofonie-Effekt beruht? Er würde auf Tonarm, Platte
und Subchassis wirken und vor allem die leichte Frequenzgang-Delle
des Karma-Tonabnehmers im Präsenzbereich ausgleichen.
Nun machten plötzlich alle Hördurchgänge Sinn: Mit
der guten Thorens-Gummimatte klang der Linn etwas farbloser und eine
Spur dunkler, und - dies war die endgültige Bestätigung
- wenn beide Plattenspieler geschützt vor Mikrofonie im Lager
hinter dem Hörraum standen, musizierten sie nicht unterscheidbar.
Das bedeutet, daß der Linn in der kompletten Wiedergabekette
nach einem Robin-Hood-Effekt arbeitet: Er stiehlt den reichen Lautsprechern
etwas Energie und schenkt sie dem armen Tonabnehmer. Den Hörtestern
fiel ein Stein vom Herzen. Allerdings müssen sie sich sagen lassen,
daß der Linn nur komplett mit Arm Ittok und Tondose Karma vom
Räuber zum König wird. Das Laufwerk solo gehört nur
ins Fürstentum Spitzenklasse I.
Umgekehrt bei Micro und Thorens: Sie sind König und Prinz in
der Rubrik "Plattenlaufwerke", also die ideale Basis für
alle, die zum Plattenhören nicht ein empfindliches Biotop anlegen,
sondern freie Arm- und Tonabnehmerauswahl haben wollen.
Hans-Ulrich Fessler, Peter Schüller
Das fiel auf
Der unumgängliche Vergleich gegen die Compact Disc versprach
in Anbetracht des Stax-Prototypen (stereoplay 8/86) besonders spannend
zu werden. Hatten doch eingeschworene Linn-Fans beim CD-Spieler-Hörtest
im Augustheft dem Stax ähnliche Qualitäten wie ihrem Lieblingskind
bescheinigt. Leider hatten gestresste Hände dem Stax inzwischen
den Garaus gemacht. Im letzten Moment konnte Vertriebschef Steickart
einen neuen Spieler organisieren. Zum großen Erstaunen aller
Beteiligten unterschied sich dieser nur minimalst von der vielgeschmähten
angeblich schönfärberischen Linn-Kombination.
Nur durch einen subjektiv etwas größeren Raum, das Plattenrauschen
mag daran nicht unbeteiligt sein, hob sich der LP 12 vom Widersacher
ab. Hier ein Urteil zu sprechen, wäre vermessen. Analogfans werden
die noch großzügigere Räumlichkeit und die noch greifbarere
Abbildung des Linn bevorzugen. Digitalos freuen sich über die
auch von brutalsten Einsätzen nicht zu erschütternde Sauberkeit
des Stax. Damit dürften die erbittersten Glaubenskriege ausgestanden
sein. Weder CDs noch Langspielplatten sind von Grund auf schlecht.
Die Wiedergabemaschinerie muß gut sein, das ist das ganze Geheimnis.
Martin Doll